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Über paradoxe Gefühle nach dem Tod meiner Mom und was Yoga damit zu tun hat.

Am 30.04. vor einem Jahr, als wir das letzte Mal vom Krankenhaus heimfuhren, war der erste Gedanke als ich zur Tür unserer Wohnung herein kam "Ich möchte mich in einem Yogastudio anmelden." Schon in dem Moment erschien mir der Gedanke derart paradox, dass ich mich fragte, ob ich jetzt vollkommen durchdrehen werde. Nicht, dass der Gedanke an sich komisch wäre - der Zeitpunkt war es nur. Wenige Stunden zuvor hatte meine Mama aufgehört zu atmen. Die Kurven auf verschiedenen Bildschirmen zeigten keine Höhen und Tiefen. Es ertönten verschiedene Geräusche und dann war da nur Stille. Stille, die mehr wog als jeder Schmerz dieser Welt. Ich glaube ich habe in meinem Leben nie so viel und so wenig zur selben Zeit gespürt. So wahnsinnig widersprüchliche Gefühle empfunden und so abwegige Gedanken gehabt. "Ich möchte mich in einem Yogastudio anmelden." hatte ich einem Freund geschrieben, direkt nach dem ich zig WhatsApp Nachrichten verschickte "Sie kann jetzt frei fliegen", "Sie hat es geschafft". Auch heute wunder ich mich über den Zustand, in dem ich mich vor über einem Jahr befand. Ich kann mich an einen Schub von Enthusiasmus erinnern, der mich überkam. An Optimismus und Lebensfreude. Und das so kurz nachdem ich meine Mom sterben gesehen habe.

Ich wollte Neues erlernen, wollte mehr sehen, mehr spüren. Wollte Dinge beim Schopf packen und zwar sofort. Nicht irgendwann mal. Sondern jetzt gleich.


Es wurde ein sehr bald. Ein 16. Juni. Das Yogastudio "Now Yoga" in meiner Wahlheimat hatte Tag der offenen Tür. Viele verschiedene Kurse mit wahnsinnig vielen freundlichen Menschen. Glücklich wirkenden Menschen. Das könnte wohl ein Teil davon sein. Vom 'Neuanfang'. Die Räume waren hell und weit. Es roch nach ätherischen Ölen und nach Wärme. Und ein Stück weit auch nach Freiheit. Mein allererster Kurs war bei Frank und Elaine. Er spielte Gitarre, beide sangen. Irgendwann lief "Mad world" von Gary Jules und ich habe krampfhaft versucht nicht zu heulen. "Wie ironisch" dachte ich. Ich unterschrieb am selben Tag noch den Vertrag für meine Mitgliedschaft.

Den Sommer über wurde das Studio mein kleines, persönliches Spa. Meine Ladestation. Therapiepraxis. Mein Kokon.

Es gab Phasen, insbesondere während der Bachelorarbeit, in denen ich sehr nachlässig war. Anfang diesen Jahres war ich überhaupt nicht. Thesis-Abgabe, Hundesitting, Kolloquium, Bauchspiegelung, 4 Wochen Narbenheilung, Fasching, Corona und ja, der zweite Schlag. Nach vier-sechs Wochen verordneten Sportpause bin ich fast jeden zweiten Tag auf die Matte. Erst 20 min, dann 30, dann 60.

Auch ich hatte meine Vorurteile, mein mit Tinte gemaltes Bild von Yoga. Wollsocken und Lammfell-Matte. Räucherstäbchen und Daliegen. Sonnengruß und im Baum stehen. Mittlerweile weiß ich, dass es eben nicht (nur) das ist. Sondern viel viel mehr. Dass es Power-/Vinyasa Kurse gibt, in denen ich mehr schwitze, als in vielen Kursen, bei denen ich von diversen Trainern angeschrien wurde.


Beim Yoga kann ich fast alles sein. Alles kann, nichts muss. Wie man im Yoga so schön sagt.

Denn dann bin da nur ich. Ich und meine Gedanken. Meine Ängste und Sorgen. Der unruhige Geist und das schwere Herz. Die Seele, die sich langsam räkelt und streckt, sich frei macht und tanzt. Nicht immer. Aber immer öfter. Und das ist schon viel wert. Ziemlich viel sogar.

(Bild: Unsplash.com / Stephanie Greene)

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